Diversität in schriftsprachlichen Lehr-Lerninteraktionen

Mein Zugang zu Diversität VII

Dem Konzept „Diversität“ nähere ich mich aus sprachdidaktischer Perspektive und mit dem spezifischen Fokus auf den Schriftspracherwerb. Schriftspracherwerb fasse ich hierbei weit. Es geht demnach nicht nur um den Erwerb der Schriftsprache im Anfangsunterricht, sondern auch und gerade um die Teilhabe an Schriftkultur über die gesamte Lebensspanne, wobei ein Schwerpunkt auf dem Kindes- und Jugendalter liegt. Innerhalb dieser Teilhabe an Schriftkultur interessieren mich vor dem Hintergrund der Diversität insbesondere unterrichtliche Situationen, in denen schriftsprachliches Lernen stattfindet.

An zwei Beispielen möchte ich spezifische Facetten von Diversität an zwei Bildungsübergängen (Kita – Grundschule, Grundschule – Sekundarstufe I) aufzeigen, die für die Erforschung schriftsprachlicher Lehr-Lernkontexte relevant sind. Es geht dabei einerseits um die Berücksichtigung der Diversität der Kompetenzen der Schüler:innen in schriftsprachlichen Lehr-Lernkontexten (Beispiel B) und andererseits um die Diversität in den außerschulischen Zugängen zu Schrift und deren Bedeutung fürdie Gestaltung von Unterricht (Beispiele A).

A)       Im Vorlesemonitor 2024, einer standardisierten Elternbefragung, zeigt sich ein deutlicher Unterschied in der Vorlesehäufigkeit zw. Eltern mit sogenannter „formal höherer“ oder „mittlerer“ (17 bzw. 14 % lesen nie vor) vs. sogenannter „formal niedriger“ Bildung (29% lesen nie vor) (Stiftung Lesen, Folie 9). Innerhalb der Gruppe der Eltern mit sogenannter „formal niedriger“ Bildung zeigt sich ein Unterschied zw. Eltern, denen selbst vorgelesen worden ist (21 % lesen nie vor), und Eltern, denen selbst nicht vorgelesen worden ist (44 % lesen nie vor) (vgl. ebd. Folie12). Die Umfrage umfasst Eltern mit 1- bis 8-jährigen Kindern.

B)       Auch in der IGLU-Studie 2021 (wie bereits in vorhergehenden Bildungsvergleichsstudien) zeigt sich bezogen auf die Lesekompetenz der Viertklässler:innen eine enorme Diversität. Ein Viertel der Viertklässler:innen in Deutschland erreicht nicht mind. Kompetenzstufe III, die einen erfolgreichen Übergang vom „Lesen lernen“ zum „Lesen um zu lernen“ ausdrückt und die soziale Disparität der Lesekompetenz ist in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländernh och (vgl. McElvany et al. 2023 S. 15 und 18).

 

Was bedeutet es für die Gestaltung von schriftsprachlichen Lehr-Lernkontexten, wenn Kinder und Jugendliche mit so unterschiedlichen schriftkulturellen Erfahrungen und Kompetenzen Schrift erwerben? Diversität ist für mich demnach eine analytische Dimension, die für die Analyse von Lehr-Lerninteraktionen relevant ist.

In meiner Forschung beschäftige ich mich u.a. damit, wie Schüler:innen in ihrer Textkompetenz gefördert werden können und damit auch (punktuell) von hierarchieniedrigen Teilleistungen der Schriftproduktion (wie z.B. Orthografie) entlastet werden können. Das Diktieren mit Skriptor:in oder Spracherkennung bietet erweiterte Zugänge zur Schriftkultur, in denen ganz unterschiedliche schriftsprachliche Zugängere konstruiert werden können (u.a. Merklinger 2011, Schüler/Geist 2023).

Mit einem Fokus auf dem Erwerb orthografischer Fähigkeiten erforsche ich, wie Schüler:innen und Lehrpersonen über Schreibungen sprechen, wie sie sich gegenseitig Schreibungen erklären (u.a. Geist et al. 2019). Aktuell analysiere ich hierbei auch Interaktionen zwischen Schüler:innen mit sehr unterschiedlichen Fähigkeiten. Zukünftig geht es darum, weitergehend zu untersuchen, wie Schüler:innen in schriftsprachliche Interaktionen im Unterricht eingebunden sind und diese mitgestalten.

 

Literatur

Geist, B.; Kupetz, M. & Glaser, K. (2019). Accounting for spelling: On the intricacies of teaching and learning the spelling of ambisyllabic consonants in a German L2 classroom. Classroom Discourse, 10:1, 71-98, https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/19463014.2019.1567361.

McElvany, N./Lorenz, R. /Frey, A./ Goldhammer, F./ Schilcher, A./ Stubbe, T.C. (Hrsg.)(2023). IGLU 2021. Lesekompetenz von Grundschulkindern im internationalen Verglich und im Trend über 20 Jahre. Münster: Waxmann.

Merklinger, D.(2011): Frühe Zugänge zu Schriftlichkeit. Eine explorative Studie zum Diktieren. Freiburg im Breisgau: Fillibach.

Schüler, L. & Geist, B. (2023). Vom Diktieren mit Skriptor:in zum Diktieren mit Spracherkennung. Der Deutschunterricht,5, 5-17.

StiftungLesen (2024). Vorlesemonitor 2024 „Vorlesen schafft Zukunft“. https://www.stiftunglesen.de/fileadmin/PDFs/Vorlesestudie/Stiftung_Lesen_Vorlesemonitor2024.pdf.